Land meiner Sehnsucht.


(2004)

In stillen Stunden meines Lebens habe ich intensiv darüber nachgedacht, warum die Welt so ist wie sie ist und nicht anders. Die Geschichte und die unterschiedlichsten Zeitepochen hat uns Menschen gezeigt, daß unsere ererbten Unvollkommenheiten sich in allen möglichen Facetten und in gravierenden, mehrheitlich negativen Ausmaßen entfaltet haben, die kaum noch zu begreifen sind. Daher stellt sich die Frage, ob unserer irdisches Dasein tatsächlich nur etwas Vorübergehendes sein sollte, oder nur ein Zwischenspiel in einen andersartigen Daseinsbereich? Oder kann man unter den vorhandenen Zuständen wahre Erfüllung und Frieden für sich und andere finden? Besonders unsere Gegenwart läßt Ängste und Zukunftssorgen gedeihen, die kaum von lebenden menschlichen Wesen befriedigend zu beseitigen sind, da mangelnde Lebensqualität und die Werte für ein gutes Miteinander fast nicht mehr auszumachen sind.

Im Dezember 2001 unterzeichneten etwa 110 Nobelpreisträger eine gemeinsame Erklärung mit auszugsweisem Wortlaut: "Die einzige Hoffnung für die Zukunft liegt in den vereinten internationalen Anstrengungen, die demokratisch legitimiert sind......Um in der von uns veränderten Welt überleben zu können, müssen wir eine neue Denkweise lernen." Aber welche "neue Denkweise" brauchen wir Menschen? Können wir in realistischer Weise darauf hoffen, daß diejenigen, die den Weltfrieden mit Atomwaffen und anderen lebensbedrohlichen Kriegsutensilien bedrohen, umdenken werden?

Viele tragen sehnsuchtsvoll den Wunsch in ihrem Herzen, daß sich eines Tages unsere von Menschen zerstörte Erde wieder in ein Paradies verwandeln möge, damit die nachwachsenden Generationen nicht den vorprogrammierten Katastrophen und all den daraus entspringenden Nöten ausgesetzt sein müssen. Andere sind wiederum der Auffassung, daß die Erde sowieso nicht ewig bestehen könne, weil durch die stark ansteigende Überbevölkerung, die verheerenden Seuchen und Krankheiten, die fürchterlichen zerstörerischen Kriege, die facettenreiche Gier nach Macht und Ansehen, die ausschweifenden Vergnügungssüchte mit Exzessen aller Arten und die zunehmenden Umweltverschmutzungen das Leben zusehends beschweren. Außerdem waren zu allen Zeiten zahllose Menschen davon überzeugt, eines Tages die Erde zu verlassen und in den Himmel zu kommen. Diese Auffassung konnte ich nie so teilen, denn wir Menschen sind vom Schöpfer ursprünglich für ein ewiges Leben auf der Erde geschaffen und auch entsprechend konstruiert worden. Leider brachte uns das erste Menschenpaar durch ihren Ungehorsam gegenüber Gott aus der vorgesehenen Bahn und lenkte die gesamte Menschheit in die Unvollkommenheit. Bedenkt man die Komplexität unseres Körpers mit all den vielen zweckmäßigen Funktionen und der noch unerforschten ungenutzten Kapazität unseres Gehirns, da könnten sich Gedanken bilden, die die Sicht auf ein irdisches ewiges Leben frei machen. Nie habe ich mich von diesen Wunschvorstellungen lösen können.

Eines Nachts wachte ich auf, oder meinte es, als beglückende Gedanken und Bilder sich vor meinen Augen entfalteten, die mich in eine Welt versetzten, nach der ich mich sehnte und nach der ich schon lange suchte.

Freudestrahlende Menschen aller Hautfarben und Rassen kamen mir entgegen, die mich winkend begrüßten und nach meinem Namen fragten.
"Wieso wollen die meinen Namen wissen?", dachte ich im Stillen und drehte mein Gesicht in die entgegengesetzte Richtung, aus der ich kam, die mir nun aber sehr düster und bedrohlich erschien, im Gegensatz zu der hellstrahlenden fremden Welt. Meine Gefühle fingen still an zu tanzen, berauschten sich am Augenblick des Seins in nie erlebter Weise. Ich nannte ihnen leise meinen Namen.

„Wo bin ich?“,rief ich laut in die Menschenschar.
„Du bist im Land deiner Sehnsüchte!“, antwortete sie.
Ja, so stellte ich mir des öfteren mein „Paradies“ vor. Blauer Himmel mit sanft dahintreibenden Wolken rundeten diesen Moment des unfaßbaren Glücks ab, den ich kaum ertragen konnte. Ich setzte mich zwischen all die vielen bunten Blumen, in dem Bemühen, keine zu zertreten, aber ohne Erfolg, denn die üppige Vegetation ließ keinen freien Platz für meine Füße. Während ich mir meiner Situation immer bewußter wurde und mein Geist sich zu erweitern schien, überwältigte mich eine enorme Begierde und Begeisterung, diese beeindruckende andere Welt weiter kennenzulernen. Plötzlich standen verstorbene Verwandte vor mir und ich wurde gedrückt, geknuddelt und geherzt. Sie waren schön von Gestalt und auch jünger, als ich sie in Erinnerung hatte, keine Falten, keine Brillen zierten ihre Nasen, keine Gehstöcke unterstützten ihre Gebrechlichkeit. Nichts von all den mir bekannten Hilfsmitteln, die sie zu ihren Lebzeiten benutzt hatten. Ich entdeckte meinen alten griesgrämigen und als Kinderschreck verschrienen Onkel, der in alle Richtungen ständig nur Boshaftigkeit versprühte. Aber jetzt war er die Liebenswürdigkeit in Person und kaum noch wiederzuerkennen. Hier sollte ich nun für immer leben. Man berichtete mir, daß es keine Krankheiten, keine Schmerzen, kein Älterwerden mehr geben würde und der Tod keine Macht mehr über die Lebenden hätte.

"Tag und Nacht gibt es auch hier!“, sagte ich laut vor mich hin und erblickte in diesem Moment den guten alten Mond, einen alten Bekannten aus der vergangenen Welt, der mich wie immer ganz allein anzulächeln schien. Die unterschiedlichsten Getreideprodukte aus den verschiedenen auch hier existierenden Kulturen füllten die Tische und wurden stets mit nie faulenden Früchten und Obst dekoriert. Kein Tier wurde geschlachtet und gegessen.

Was mich noch sehr beeindruckte, waren die vielen Tiere, die neugierig auf mich zukamen. Es waren sehr viele dabei, denen ich weder am Tage noch bei Nacht hätte begegnen wollen. Sie galten stets als äußerst gefährlich und man wurde sein Leben lang davor gewarnt. Hier aber streichelte ich eins nach dem anderen und erlitt keinen Schaden. Ja, es herrschte Frieden zwischen Mensch und Tier. Es war kaum zu fassen, aber in dieser Welt war das Leben so, wie ich es mir im Herzen schon immer gewünscht hatte.

Mir war auch aufgefallen, daß die unterschiedlichsten Menschenrassen zusammenlebten und sich alle in einer mir unbekannten Sprache verständigten. Sogar ich sprach so und konnte sie verstehen. Nirgends entdeckte ich trennende Grenzen, sondern die ganze Erde war ein Land für alle Bewohner.

Auf meiner Reise suchte ich nach vielen Dingen, die ich aus meinem vorherigen Leben kannte, aber ich suchte vergebens. Es fiel mir sofort auf, daß die verschandelnden Hochspannungsleitungen fehlten. Nachrichten wurden bildlich und hörbar über eine Wand im Innenraum der fantasievollen Häuser verbreitet. Architektonische verwirklichte Ideen sah man überall. Gestaltungstalente entwickelten gemäß ihren Vorstellungen Neues, Außergewöhnliches aber Zweckmäßiges für den alltäglichen Gebrauch oder um der Kunst weitere Objekte hinzuzufügen. Die Muse in ihrer Vielfalt blühte zusehends auf, denn ein Großteil der verstorbenen berühmten Dichter und Denken waren bereits „auferstanden“ und konnten mit ihrem erweiterten neuen Geist ihr Wirken fortsetzen. Täglich zur selben Zeit wurden durch göttlichen Geist wiederhergestellte Neuankömmlinge bekannt gemacht, die aus dem toten verwesten Zustand der Gräber neu erwachten und den Verwandtschaftslinien zugeordnet werden mußten. Dafür eingesetzte „Fürsten“ überwachten diese und andere anfallenden und nötigen Geschäftigkeiten, aber dennoch waren alle Bewohner in gleicher Stellung, frei in ihren persönlichen Entscheidungen und Anwendung ihrer Fähigkeiten. Was mich besonders beeindruckte war, daß es nur noch eine Religion gab und das Wetter von einer unsichtbaren Macht im Gleichgewicht gehalten wurde.

Plötzlich wurde ich fürchterlich durchgeschüttelt und sah meinen Mann aufgeregt vor mir stehen und hörte seine eindringlichen Worte:
„Der Wecker klingelt schon zum wiederholten Male und Du kommst einfach nicht aus den Federn!“
Völlig benommen und erschrocken begann ich diesen Tag und das wunderbare Erlebte ging mir bis zum heutigen Tag nicht mehr aus dem Sinn. Vielleicht kann es eines Tages zur Zukunftslösung werden, wenn die Menschheit mit ihrem Latein am Ende ist, und nur noch durch Gottes Verheißungen, die in der Bibel festgehalten sind, der Ursprungszustand der Menschheit wieder hergestellt werden kann. An ein weltweites positives Umdenken der jetzigen Menschheit glaube ich nicht.

© Heidrun Gemähling