Liebe geht durch den Magen.


Seit langem war Petra bewusst, wie schnell doch die Zeit verrann. Ein Blick in den Spiegel erinnerte sie daran, dass ihre jugendliche Ausstrahlung immer mehr an Glanz verlor. Bedrückt drehte sie sich weg, machte einige Schritte zum Fenster und wieder zurück in den in das rote Licht der untergehenden Sonne getauchten Raum. Ihr Blick fiel auf die alte Kommode in der Ecke, auf der die grün gepunktete Bowle aus mattem Glas stand, ein Andenken an eine große Liebe, die schmerzhaft zerbrochen war. Wehmut überschattete ihre Gedanken, die Erinnerungen lebendig werden ließen.

Wie oft hatten sie engumschlungen auf der von Wein umrankten Veranda gesessen, manch köstliches Getränk getrunken und übermütig gescherzt, das Summen der Bienen gehört, die zwitschernden Vögel auf dem Zweig beobachtet, der das Vordach berührte. Gefühle der Liebe hatten die Seiten gewechselt und das Glück scheinbar vollkommen gemacht.


An das traurige Ende mochte sie nicht weiter zurückdenken. Es schmerzte noch genauso wie damals in ihrem Herzen.

Immer noch träumend, machte sie einige Schritte nach rechts und begutachtete sich erneut in dem großen Spiegel. In diesem Augenblick stand plötzlich Max freudestrahlend hinter ihr, galant aber auch eitel zugleich, was ihre Begeisterung erheblich bremste. Seine Überraschungen für sie waren stets ausgefallen und diesmal sogar von ganz besonderer Art. Hinter seinem Rücken hielt er einen blütenbedeckten Strohhut verborgen und zupfte mit einer Hand unbeholfen daran herum.

Petra schaute weiter in den Spiegel, fing aber dann laut herzhaft an zu lachen, denn sie konnte seine verzweifelten Anstrengungen im kleineren gegenüberliegenden Spiegel verfolgen. Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht.

Ruckartig drehte sie sich um, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn zärtlich. Seine Verlegenheit steigerte sich von Sekunde zu Sekunde und ließ ihn erröten und verstummen.

„Max, was willst du denn heute zaubern?“, fragte sie gespannt und zog neugierig seine rechte Hand samt Hut hinter seinem Rücken hervor.
Gleichzeitig streckte er auch seine Linke hervor, entnahm dem Hut eine rote Blume und hielt sie ihr zärtlich lächelnd entgegen.
„Für dich“, sagte er leise, „denn die Liebe geht auch durch den Magen, pflegte meine Mutter zu sagen“
„Die ist ja aus Marzipan!“, rief Petra erfreut und biss sofort ein Stückchen ab.
„Lass dir Zeit!“, erwiderte Max gelassen, „am Hut sind noch vier weitere Blumen, die deinen Magen schmücken können!“
Strahlende Augen sahen sich an, und in diesem Moment stiegen altbekannte Gefühle in ihr auf.

© Heidrun Gemähling