Was ist mit unseren Kindern los?


So fragen sich viele Leute, deren Aufgabe es ist, sich mit Kindern und Jugendlichen zu beschäftigen. Seit jeher gibt es solche und solche, aber der Trend der letzten Jahre neigt zu solchen, die negative Schlagzeilen machen. Doch gibt es auch solche, die sich vorbildlich oder normal verhalten, wenn auch spärlicher, aber es gibt sie. Verfolgt man die Medienberichte, werden häufig Anstand, Respekt, Rücksichtnahme und Moral vermißt und das Elternhaus dafür verantwortlich gemacht. Je älter die Personen sind, die das beklagen, desto weniger Verständnis können sie dafür aufbringen.

Kinder in der heutigen Zeit stehen entweder zu sehr im Mittelpunkt, werden zu sehr verwöhnt oder sie werden zu sehr vernachlässigt, weil für die tägliche Erziehung einfach keine Zeit vorhanden ist, weil die Lebensumstände immer schwieriger geworden sind. Auch Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit spielen eine große Rolle, denn viele junge Eltern sind trotz der allgemeinen Aufklärung noch der Meinung, daß sich der Kindergarten und die Schule um die Erziehung kümmern müsse.

Aber ist das so richtig? Nein!


Die Eltern haben immer noch die Pflicht, sich um die Erziehung zu kümmern. Tun sie es nicht, werden ihre Kinder von Fremden erzogen, was oft anders ausgeht, wie gedacht. Es ist immer noch von Vorteil, anderen Anstand und Respekt entgegenzubringen, sich einfach anständig zu benehmen. Es tut nicht weh und anderen tut es gut. Da immer wieder von Gruppenzwang die Rede ist, ist es auch für die Kinder und Eltern nicht so leicht, dem Sog zu entgehen. Aber durch ein intaktes Familienleben kann man dem entgegentreten und die Kinder finden Anerkennung und Zugehörigkeit im Elternhaus.

Aber wie war das eigentlich früher hier in der Grafschaft? War es früher besser oder schlechter?Eine 80-jährige Grafschafterin, die in Uelsen aufgewachsen ist, hat sich freundlicherweise zur Verfügung gestellt und berichtet folgendes aus ihrer Kindheit: "Meine Eltern waren immer sehr darauf bedacht, daß keine Schmach auf die Familie kam, der äußere Schein mußte gewahrt bleiben. So hielten es auch die Nachbarn. Wir waren 8 Kinder, zwei sind klein gestorben. Gehorsam gegenüber den Eltern, Lehrern, Pastoren und Nachbarn war eine Selbstverständlichkeit, und wir taten es auch nicht widerwillig. Wir respektierten diese Personen in hohem Maße, weil wir auch große Angst hatten, daß sich diese bei unseren Eltern beschweren könnten. Wenn wir Kinder doch mal übermütig frech waren, bekamen wir auch von Fremden sofort einen Backstreich. Das war normal und es hat sich auch keiner weiter darüber beschwert. Unsere große Schwester war sehr streng mit uns, spielte Ersatzmutter, weil unsere Mutter viel mit der Hausarbeit beschäftigt war und noch in "Stellung" war. Wir bekamen alle verschiedene Arbeiten zugeteilt, die wir auch gewissenhaft erledigen mußten. Das war einfach so - aus! Vor dem Essen wurde abwechselnd von uns Kindern gebetet, nach dem Essen abgeräumt, abgewaschen und was sonst noch so anfiel. Das klappte ohne Widerworte, es blieb uns auch nichts anderes übrig. Dann durften wir bis in die Dunkelheit mit den Nachbarskindern spielen. Um die Kirche herum gab es so viele dunkle Ecken zum Verstecken. Schularbeiten wurden vor oder nach dem Spielen gemacht.

Wenn ich an unseren Lehrer Timmer denke, fällt mir folgendes ein. Er war sehr streng mit uns, aber wir liebten ihn. Nach der Morgenbegrüßung in der Schule mußten alle, die keine Schularbeiten gemacht hatten, oder sonst was Wichtiges vergessen hatten vorne zu ihm ans Pult kommen, und es melden. Wer es nicht tat und es kam später heraus, mußte seinen langen Stock auf den Fingern spüren. Das war damals so. Wenn er um 10 Uhr nach Hause zur Frühstückspause ging, hing eine ganze Horde Kinder wie Kletten an seinen Armen und Händen, jeder wollte auch seine Tasche tragen. Wir liebten ihn, trotz seiner Strenge, vielleicht gerade deswegen.

Oft kamen Nachbarn und es wurde gemütlich geplaudert, gesungen. Trotz unserer aller Verschiedenheit kamen wir gut miteinander aus. Vielleicht weil wir noch kein Radio und Fernsehen hatten. Dadurch wurde viel miteinander geredet, Gesellschaftsspiele gemacht und um 20 Uhr mußten wir Kinder in die Betten, die wir uns zu zweit teilen mußten. Die älteste Schwester betete mit uns am Bett. Unsere Eltern haben viel mit uns unternommen. Spaziergänge und Naturerklärungen, seitens der Eltern, waren eine große Freude für uns. Das Elternhaus war ein Ruhepol für uns alle. Auch Besucher waren stets willkommen und auch reichlich vorhanden."


Jeder, der diese Zeilen liest, kann sich eigene Gedanken dazu machen und es mit der heutigen Zeit vergleichen. Es lohnt sich, aus der guten alten Zeit herauszufinden, was nachahmenswert ist. Änderungen diesbezüglich stärken in der Tat die Familienbande und geben jedem Einzelnen das notwendige Zugehörigkeitsgefühl. Dann braucht vielleicht auch nicht mehr die Frage gestellt zu werden: "Was ist mit unseren Kindern los?"

© Heidrun Gemähling